„Die Region muss ihre Stärken stärken und diese auch in der Digitalisierung vorantreiben“
Sie ist das ökonomische Thema Nummer eins, gerade auch auf regionaler Ebene: die Digitalisierung. Oder besser: die digitale Transformation sämtlicher Arbeits- und Lebensbereiche. Im Anschluss an die diesjährige Mitgliederversammlung der Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain begaben sich mit Prof. Dr. Kristina Sinemus und Karl-Heinz Streibich zwei Persönlichkeiten aufs Podium, die zum Thema eine Menge beizutragen wussten. Die eine hat seit Anfang des Jahres den Posten der Hessischen Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, ist ehemalige IHK-Präsidentin der Digitalstadt Darmstadt und erfolgreiche Unternehmerin, der andere lenkte als langjähriger Software AG-CEO den zweitgrößten deutschen IT-Konzern und steht jetzt der Akademie der Technikwissenschaften (acatech) vor. Beide sind der Wirtschaftsinitiative eng verbunden und gehören dem beratenden Beiratsgremium des Unternehmernetzwerks an. Klar, dass ein spannender Dialog da vorprogrammiert war!
Carsten Knop, Chefredakteur für die digitalen Produkte der F.A.Z. und Moderator des Gesprächs, forderte Prof. Sinemus direkt zu Beginn heraus: „Sie gehören jetzt der Politikseite an, die ersten 100 Tage im Amt sind vorbei. Wo steht Ihr Ministerium, wie weit sind Sie?" „Ich baue das Ministerium ja komplett neu auf – Hessen ist übrigens neben Bayern das einzige Bundesland mit einem eigenen Digitalressort. Da braucht es zunächst Mitarbeiter, Budget, Räumlichkeiten. Ich benutze hier gerne das Bild eines Start-ups. Wir befinden uns in der Entwicklungsphase und ab September soll es richtig losgehen", antwortete die Ministerin. Inhaltlich orientiert sie ihre Arbeit an einer 5-Punkte-Strategie, die auf dem Koalitionsvertrag basiert. Ein Arbeitspaket sei der Ausbau des Mobilfunknetzes und der Breitbandversorgung, ein anderes die Digitalisierung der Verwaltung. Zudem will sie sich um Querschnittsaufgaben mit anderen Ministerien, die Koordination bereits laufender Projekte und eine verantwortungsvolle digitale Ethik kümmern. Ihr Motto dabei: „Wir müssen die Digitalisierung zum Nutzen der Menschen gestalten!" Karl-Heinz Streibich pflichtete dem bei. „Ganz klar: Wir brauchen die Akzeptanz der Bürger, um digitale Neuerungen umsetzen zu können." „Davor steht die Transparenz, denn sie lässt das notwendige Vertrauen erst entstehen", ergänzte Prof. Sinemus.
Impulse schaffen, dranbleiben, Geduld haben?
„Sie haben für die gesamte Legislatur eine Milliarde Euro zur Verfügung. Ist das nicht viel zu wenig?", hakte Knop nach. „Für mich ist das Glas halb voll. Es gilt, mit diesem Budget Hebel für mehr zu schaffen", entgegnete die Ministerin. „Begreifen Sie die eine Milliarde in der Tat als Impulsgeld. Damit lässt sich viel anstoßen und erreichen", so Streibichs Empfehlung.
„Warum dauert es so lange, bis im Bereich Digitalisierung Fortschritte sichtbar werden? Wo steht zum Beispiel die Digitalstadt Darmstadt?", ließ der F.A.Z.-Journalist nicht locker. „Die Digitalstadt Darmstadt ist gut unterwegs", wusste Streibich, der als Ex-Chef der in der südhessischen Stadt ansässigen Software AG nah dran war und noch immer ist. „Der Bitcom-Verband hat damals gefragt: Was ist in der Stadt schon da? Wo wollt Ihr hin? Und könnt Ihr die Umsetzung gewährleisten? Darmstadt hat bei allen Fragen die beste Antwort gegeben und damit andere namhafte und zumeist größere Städte im Wettbewerb geschlagen." „Die Digitalstadt hat pilotären Charakter, sie ist eine große Experimentierfläche. Bei der Darmstadt Konferenz Mitte Juni werden wir die ersten guten Ergebnisse hören und diskutieren", versprach Prof. Sinemus.
Was sich die Digitalministerin von der Wirtschaft wünscht
Schließlich waren auch die Gäste am Zug. Die Eisbrecherfrage stellte Prof. Dr. Wilhelm Bender, der Vorstandsvorsitzende der Wirtschaftsinitiative: „Wie können wir als Metropolregion FrankfurtRheinMain in der Digitalisierung besser sein als andere?", wollte er von den beiden Experten wissen. „Die Region muss ihre Stärken stärken und diese auch in der Digitalisierung vorantreiben, zum Beispiel im Bereich Finanzen oder Pharma", lautete Streibichs Antwort. Die erste Runde der Digitalisierung sei klar an die USA gegangen – dank der großen B2C-Plattformen wie Google oder Amazon. „Aber in der zweiten Runde geht es ums B2B-Geschäft. Hier haben wir in Europa, in Deutschland, in FrankfurtRheinMain exzellente Voraussetzungen, ganz vorne mitzuspielen." „Bekommen wir einen Interessenkonflikt zwischen Digitalisierung und Klimaschutz?", fasste ein Mitglied ein heißes Eisen an – nimmt doch der Energieverbrauch durch digitale Technologien rapide zu. „Das ist eine Riesen-Herausforderung. Doch wir dürfen das nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen Dinge erfinden, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen. Und das kann nur die Digitalisierung dank Datenanalyse und Künstlicher Intelligenz leisten", brach Streibich eine Lanze für eine technologisch geprägte Gesellschaft. Eine Bitte hatte die Digitalministerin am Ende noch an die Mitglieder der Wirtschaftsinitiative: „Ich wünsche mir von der Wirtschaft, von Ihnen, dass Sie ein ehrlicher Resonanzboden sind und sich zur Region FrankfurtRheinMain committen – auch, wenn es in der Politik nicht so schnell geht, wie es sollte. Eines kann ich Ihnen in jedem Fall versprechen: Ich habe unsere Region immer im Kopf!"