„Messen schafft Bewusstsein“
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, Chinas Marktentwicklung und Amerikas Unberechenbarkeit unter Trump: Die aktuellen geopolitischen Veränderungen treiben die deutsche Wirtschaft vor sich her, einstige Standortvorteile gelten nicht mehr. Das berührt besonders die Energiewende – und bewegt damit das Geschäft von Techem und Matthias Hartmann. Der Chef des führenden Energiedienstleisters rund um Immobilien steuert sein Unternehmen mit Hauptsitz in Eschborn konsequent ins Digitale und will mit neuen Investoren und regulatorischem Rückenwind den Gebäudesektor transformieren. Seine Überzeugung: „Dekarbonisierung braucht Daten.“ Die Wirtschaftsgespräche am Main zeigten auch in ihrer 119. Ausgabe: Hier geht’s um Themen am Pulsschlag der Wirtschaft – in FrankfurtRheinMain und darüber hinaus.
Große Herausforderungen
Was sich gerade in der Welt abspiele, betreffe jeden Bereich einer Immobilie, eröffnete Matthias Hartmann seinen Impuls im Steigenberger Icon Frankfurter Hof mit einer Kontexteinordnung. „Die Politik hat Entscheidungen getroffen, die ich unterstütze. Bei der Defossilisierung, Abkehr von der Atomkraft und Hinwendung zu erneuerbaren Energien stehen wir nicht mehr am Anfang, sondern sind mittendrin. Diesen Weg müssen wir jetzt konsequent zu Ende gehen und uns den großen strukturellen Herausforderungen stellen.“ All das habe aber massive Auswirkungen auf das Zusammenspiel von Energieerzeugung, -nachfrage und -vernetzung – und somit auf das gesamte Gebäude.
Nachholbedarf bei Smart Metering
Der Schlüssel sei ein ganzheitliches Energiemanagement, um eine Steuerung zwischen Draußen und Drinnen in einer Liegenschaft erreichen zu können. „Wir müssen digitalisieren, damit wir den Menschen regelmäßig mitteilen können, was sie verbrauchen. Messen schafft Bewusstsein und ermöglicht erst energieeffizientes Handeln. Dekarbonisierung braucht Daten“, so Hartmann weiter. Ein wichtiges Stichwort dabei: Smart Meter, also digitale Messstellen. Techem, ehemals als „Heizungsableser“ bekannt, ist schon lange viel mehr: Der führende Dienstleistungspartner für Smart Buildings, der vor über 70 Jahren in Frankfurt gegründete wurde, konzentriert sich darauf, die Energieeffizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette von Immobilien zu steigern – mit Blick auf Wärme und Wasser, aber auch Solarstrom und vieles mehr. In 18 Ländern betreut Techem mit über 4.200 Mitarbeitenden mehr als 13 Millionen Wohnungen. Beeindruckende Zahlen, die der Wirtschaftsinitiative-Vorstandsvorsitzende Michael Müller in seiner Begrüßung ausgeführt hatte. „Dieses Land braucht Smart Metering so dringend wie kaum ein anderes in Europa“, warnte Hartmann vor den Mitgliedern der Wirtschaftsinitiative und weiteren Gästen eindringlich. Spanien, Italien oder Frankreich seien hier schon viel weiter, während Deutschland erst bei fünf Prozent Abdeckung liege.
Investitionsstarkes Geschäft
Techem wächst im Ausland und Inland und arbeitet kontinuierlich an neuen Geschäftsmodellen. „Doch dafür braucht es Geld. In den letzten fünf Jahren hat Techem über eine Milliarde Euro investiert“, berichtete der Techem-Geschäftsführer im anschließenden Talk mit F.A.Z.-Redakteurin Inga Janovic und dem Publikum. Zunächst als Familienunternehmen gegründet und später an der Börse notiert, ist Techem heute im Besitz von Investoren. Zuletzt gab es ein Hin und Her wegen eines Eigentümerwechsels, da die EU wettbewerbsrechtliche Bedenken angemeldet hatte. In einer neuen Zusammensetzung der Anteilseigner wird der Deal nun weitergetrieben – mit 6,7 Milliarden Euro einer der größten seiner Art.
Zwischen interner und externer Digitalisierung und Kundenservice
Ein wichtiges Thema sei dabei auch, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Weg mitzunehmen. So sorge ja nicht nur ein Eigentümerwechsel verständlicherweise für Unruhe, sondern auch die Digitalisierung „des eigenen Ladens“. „Unsere Prozesse verändern sich, die Arbeit verändert sich. Früher haben wir einmal im Jahr die Ableser rausgeschickt und eine Abrechnung erstellt. Das ist jetzt ganz anders.“ Die Immobilienwirtschaft sei ehrlicherweise kein Vorreiter in der Digitalisierung, zumal das, wovon in erster Linie der Mieter etwas habe, von den Eigentümern meist nicht priorisiert werde. Oft habe es Techem mit frustrierten Mieterinnen und Mietern zu tun. „In Sachen Kunden- und Serviceorientierung müssen wir uns kontinuierlich weiterentwickeln“, betonte Hartmann.
Wärmepumpen nicht verteufeln
Natürlich wollte Inga Janovic auch noch eine Einschätzung zur Wirtschafts- und Energiepolitik der alten und neuen Bundesregierung hören – insbesondere zum umstrittenen Heizungsgesetz. „Ein schwieriges Thema“, bekannte Hartmann und vergaß dabei nicht zu betonen, dass es ein „Heizungsgesetz“ im engeren Wortsinn nicht gebe. Er bemängelte das „Rein und Raus“ und plädierte für mehr Kontinuität, kritisierte aber auch klar die Verteufelung der Wärmepumpen-Technologie. Nicht alles sei schlecht gewesen. „Wir waren Gas-Junkies“, spielte er auf die verbreitete Nutzung von Gasthermen an. „Jetzt haben wir großen Nachholbedarf bei der energetischen Sanierung und die passende Technologie gibt es eigentlich.“ Einen Weg zurück halte er ohnehin für „völlig illusorisch“.
„Wir wollen weiter wachsen und einen signifikanten Baustein liefern, um in der EU die Energiewende zu vollziehen“, schloss Hartmann den lebhaften Austausch mit dem Publikum. Techem habe in Deutschland und Europa die Regulierung und die Kundenbedürfnisse gelernt. Das sorge jetzt für einen Wettbewerbsvorteil. „In 14 der 18 Länder, in denen wir aktiv sind, rangieren wir auf Nummer eins oder zwei.“
„Wirtschaftsgespräche am Main“ ist ein exklusives Veranstaltungs- und Kooperationsformat, das die Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain gemeinsam mit der F.A.Z. und dem Hotel Steigenberger Icon Frankfurter Hof ausrichtet. In der Regel finden zwei bis vier Ausgaben pro Jahr statt.
Fotos: Kirsten Bucher