Wirtschaftsgespräche am Main 13.06.2025

Wirtschaftsgespräche am Main mit Fresenius-CEO Michael Sen

„Aufgeben ist keine Option“

Was haben Tennis und Business gemeinsam? Eine ganze Menge. Auch wenn Fresenius-CEO Michael Sen die Analogie nicht überstrapazieren wollte, so hob der ausgewiesene Fan des Sports bei den 118. Wirtschaftsgesprächen am Main doch einen Leitsatz hervor: „Es ist im Tennis erst vorbei, wenn es vorbei ist.“ Welche Rolle Flexibilität und Durchhaltevermögen gerade für den internationalen Gesundheitskonzern aus Bad Homburg in den letzten Jahren gespielt haben und wie sich Fresenius wieder zurück auf die Erfolgsspur transformierte, besprach er mit F.A.Z.-Herausgeber Carsten Knop.

Aufschlag Michael Sen im Steigenberger Icon Frankfurter Hof kurz nach Pfingsten. Wenige Tage zuvor war er noch in Paris, um sich live das French-Open-Finale und den Sieg von Carlos Alcaraz gegen Jannik Sinner anzuschauen. Ein epischer Match-Verlauf im Achterbahnstil, aus dem sich viel lernen lasse, waren sich Sen und Knop einig und fanden einige Anknüpfungspunkte zur jüngsten Entwicklung von Fresenius. Bevor es ins Zwiegespräch ging, gab der Fresenius-Chef den rund 100 teilnehmenden Wirtschaftsinitiative-Mitgliedern und Gästen noch einen Impuls mit auf den Weg: Innovationskraft, Relevanz und Anpassungsfähigkeit identifizierte er als zentrale Erfolgsfaktoren für Unternehmen. Aufgeben sei keine Option – wie im Tennis.

Auf der Intensivstation

Mit 21,5 Milliarden Euro Umsatz, weltweit 176.00 Mitarbeitenden, Aktivitäten in 80 Ländern sowie einer starken regionalen Verwurzelung und langen Historie gehört das Gesundheitsunternehmen zu den „Schwergewichten“ in FrankfurtRheinMain. Das hatte Ulrich Caspar, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsinitiative und Präsident der IHK Frankfurt, in seinem Intro angemerkt und den Gast zu einem „Heimspiel“ begrüßt.

Fresenius betreibe die Klinikketten Helios in Deutschland sowie Quirónsalud in Spanien und biete über die Tochtergesellschaft Fresenius Kabi lebensnotwendige Medikamente und Medizinprodukte zur Infusion, Transfusion und klinischen Ernährung, stellte Sen sein Unternehmen vor. Stichwort Überleben. „Vor zweieinhalb Jahren lag Fresenius selbst auf der Intensivstation“, bekannte er. Fünf Gewinnwarnungen in sechs Jahren, schlechte Stimmung, eine hohe Schuldenlast und Vertrauensverlust hätten den Zustand des Unternehmens geprägt. „Am schlimmsten war der Vertrauensverlust. Es gibt eine Redewendung aus dem Englischen und die ist sehr zutreffend: Vertrauen verliert man eimerweise und gewinnt es in kleinen Tropfen zurück.“

Wirksame Therapie

Fresenius verordnete sich ein mehrphasiges Transformationsprogramm – und schaffte den Turnaround. Ein gutes Ergebnis und der Aktienkurs spiegeln dies wider. Man habe Komplexität reduziert, Fresenius Medicare an die Börse gebracht, das Portfolio gestrafft, sich auf sechs Geschäfte konzentriert, Kosten gesenkt. „Es ging darum, die globale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und sich anpassungsfähig zu zeigen. Wir haben die Dinge getan, die getan werden mussten – und Quartal für Quartal geliefert“, so Sen. Jetzt befindet sich Fresenius in der dritten Phase des Transformationsprozesses: „Rejuvenate“. Bei der Umsetzung des Verjüngungskurses gehe es gerade stark um Konstanz. Bergauf komme man langsamer voran, da brauche es ein gleichmäßiges Schritttempo und nicht zu große Schritte.

In der nächsten Phase, „Reimagine“, müsse dann vor allem neu gedacht werden, um in Zukunft ein relevanter Global Player zu sein und skalieren zu können. Dabei gelte es, in allen Geschäftsbereichen eine Plattform-Logik zu adaptieren und die großen Herausforderungen der Branche mit Innovationskraft zu adressieren. „Wir werden alle älter, aber nicht unbedingt gesund älter. Das Workforce Gap, der Fachkräftemangel, wird gerade im medizinischen Bereich immer größer. Und: Gesundheitssysteme sind sehr teuer“, führte Sen aus. Das US-Gesundheitssystem sei mit 17 Prozent des BIP am teuersten, Deutschland mit 12 Prozent am zweitteuersten. Es gehe aber auch anders: Spanien gebe nur 8,5 Prozent seines BIP aus.

Das KI-Krankenhaus

Das Zielbild von Fresenius, so Sen, sei dreigeteilt: eine innovative Produkt-Pipeline, Vernetzung und digitalisierte Krankenhäuser mit integrierter Künstlicher Intelligenz (KI). Alle drei Faktoren kämen bereits bei den Aktivitäten des Unternehmens in Spanien zusammen. „Wir haben dort ein digitales Krankenhaus-Ökosystem geschaffen – von Ärzten für Ärzte entwickelt.“ Ein Beispiel hatte er auch parat: „Beim Gespräch zwischen Arzt und Patient braucht es kein Klemmbrett mit Stift mehr. Es liegt ein Tablet auf dem Tisch. Im Hintergrund läuft eine KI-gestützte App, die das Gespräch aufzeichnet und automatisiert den Anamnesebogen befüllt. Natürlich muss der Arzt anschließend das Ergebnis freigeben, aber das spart viel administrativen Aufwand und bringt mehr Zeit für Patientinnen und Patienten.“ Diesen Weg könne Deutschland auch gehen. Spanien sei hier – unter dem gleichen EU-Regelregime – bereits deutlich weiter und habe nicht zuletzt unter den OECD-Staaten derzeit das schnellste Wachstum.

USA im Fokus

Im Talk mit F.A.Z.-Herausgeber Carsten Knop drehte sich viel um die USA – kein Zufall angesichts der vielen Herausforderungen, die die Trump-Regierung und die geopolitischen Entwicklungen derzeit für global agierende Unternehmen sämtlicher Branchen bereithalten. „Mit den amerikanischen Tech-Akteuren können wir nicht konkurrieren. Aber im nächsten Schritt kommen die Player ins Spiel, die Daten aus Maschinen oder dem Gesundheitswesen generieren können – und zwar strukturierte Daten. Das kann eine Chance auch für Deutschland sein“, betonte Sen.

Fresenius habe in den vergangenen vier Jahren einen Milliardenbetrag in den USA investiert, ein neues Werk in North Carolina gebaut und eine Kampagne namens „More in America“ gestartet. 70 Prozent der Produktion für Amerika laufe vor Ort in Amerika. Aber auch für Deutschland und Europa mahnte Michael Sen mehr Souveränität und Versorgungssicherheit an. Die meisten Wirkstoffe kämen heute aus China und Indien.

Zwischen Leitindustrie und Leistungskultur

Kann die Gesundheitswirtschaft die deutsche Wirtschaft aus der Krise führen? So lautete eine Frage aus dem Publikum. „Healthcare steht für Wachstum und Arbeitsplätze. Die USA und China haben die Branche als strategischen Industriezweig definiert. Deutschland sollte das ebenso tun“, antwortete Sen. „Wir brauchen in Deutschland jede produktive Stunde mehr – nicht nur in Krankenhäusern“, ging er noch auf das Thema Leistungskultur ein. Er stehe voll hinter einer Kultur, die Leistung und Freude am Beruf verbinde, schloss sich hier auch der Kreis zum Tennis. Sein persönliches Fazit: „Es macht Spaß zu wissen, dass das, was wir bei Fresenius tun, vielen Millionen Menschen hilft.“

 

„Wirtschaftsgespräche am Main“ ist ein exklusives Veranstaltungs- und Kooperationsformat, das die Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain gemeinsam mit der F.A.Z. und dem Hotel Steigenberger Icon Frankfurter Hof ausrichtet. In der Regel finden zwei bis vier Ausgaben pro Jahr statt.

 

Fotos: Kirsten Bucher

 

Video by: NOMAD.IV

2:26 Min.

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