Wirtschaftsgespräche am Main 18.10.2022

Wirtschaftsgespräche am Main mit Jürgen Rittersberger

„Die Elektromobilität ist der große Gamechanger“

Wo will die Marke mit den vier Ringen hin? Wie sieht die Zunftsstrategie konkret aus? Fakt ist: In Ingolstadt wird es elektrisch. „Technikklarheit" nennt Jürgen Rittersberger das. Bei den 109. Wirtschaftsgesprächen am Main sprach der Finanzvorstand von Audi über aktuelle Herausforderungen und Gegenmaßnahmen, die E-Roadmap der VW-Tochter und fehlende Ladepunkte, automatisiertes Fahren und das Auto als Raum für digitale Erlebnisse. Darüber hinaus verriet er, warum der Einstieg des Autobauers in die Formel Eins der richtige Schritt zum richtigen Zeitpunkt ist. Für die Mitglieder der Wirtschaftsinitiative ein spannender Business-Mittag nach Maß!

„Die Automobilindustrie befindet sich im größten Umbruch seit 100 Jahren", setzte Jürgen Rittersberger direkt zu Beginn den Ton. Die Auswirkungen des Klimawandels und das Aufkommen neuer Player wie Tesla haben die etablierten Autobauer in den vergangenen Jahren mehr und mehr vor eine Grundsatzentscheidung gestellt. Gehen wir im Thema Elektroantrieb „all in"? Audi beantwortet diese Frage mit einem klaren Ja. Warum, wie und wann – das erläuterte der Finanzvorstand den rund 80 Gästen im Hotel Steigenberger Frankfurter Hof. Zuvor hatte Michael Müller, seit Mitte Juni Wirtschaftsinitiative-Vorstandsvorsitzender, in seiner neuen Rolle die Veranstaltung eröffnet und den Speaker vorgestellt. Erst zum vierten Mal in der über 20-jährigen Geschichte des Executive Lunch-Formats hatte ein Vertreter der Automobilbranche den Weg zu den Wirtschaftsgesprächen am Main gefunden. Und das, obwohl das Automobil-Cluster durchaus ein gewichtiges Standbein für FrankfurtRheinMain ist – jenseits von Opel respektive Stellantis in Rüsselheim. „Gerade asiatische Autobauer unterhalten bei uns ihre Europa-Headquarter oder Entwicklungs- und Design-Zentren. 30 der größten 50 Automobilzulieferer sind in unserer Region vertreten", betonte Müller, der sich selbst als Audi-Fahrer outete.

Robuste Aufstellung für das, was kommt

Materialengpässe, Corona-Pandemie, steigende Rohstoffpreise und nun auch noch der Ukrainekrieg und die Folgen für die Energieversorgung: „Die letzten drei Jahre waren für die Automobilindustrie eine echte Herausforderung", konstatierte der gebürtige Mannheimer Jürgen Rittersberger, der seine Karriere bei Philipp Holzmann in Frankfurt begonnen hatte und 2002 in den VW-Konzern wechselte. Audi habe aber zahlreiche Gegenmaßnahmen erfolgreich zum Einsatz bringen können, etwa an der Supply Chain, der Sourcing-Strategie und der Preisstellung gearbeitet, Fixkosten und Energieverbrauch reduziert und Notfallpläne entwickelt. Im Wolfburger Konzerngefüge bildet Audi zusammen mit Lamborghini, Ducati und Bentley die Markengruppe Premium. Mit knapp 800.000 Stück lag die Zahl der ausgelieferten Fahrzeuge im ersten Halbjahr 2022 zwar um 200.000 niedriger als im Vorjahr, doch Umsatz, Ergebnis und Rendite zeigten sich dennoch positiv. Die richtige Preispolitik und Rückenwind aus Rohstoffsicherungsgeschäften hätten dies möglich gemacht, so Rittersberger, der nach vielen Jahren bei Porsche seit 2021 das Audi-Vorstandsressort Finanz und Recht verantwortet. „Wir leben in volatilen und komplexen Zeiten. 2023 werden wir davon profitieren, dass die Auftragsbücher derzeit gut gefüllt sind, doch wir müssen das Unternehmen noch robuster aufstellen."

Vorsprung 2030

Den Kompass dafür bildet die Zukunftsstrategie „Vorsprung 2030" – natürlich bewusst angelehnt an den legendären Marken-Claim „Vorsprung durch Technik". Sie besagt, dass Audi bis 2030 nachhaltig und technologisch führend sein will. „Wirtschaftlicher Erfolg ist nur mit gesellschaftlicher Verantwortung möglich", machte der Vorstand die Position von Audi deutlich. Ausrichtung und Zeitplan sind indes glasklar. Audi geht bei der Elektromobilität aufs Ganze. „Die Elektromobilität ist der große Gamechanger und der richtige Weg für die individuelle Mobilität der Zukunft", ist man bei Audi überzeugt. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien sei dafür essentiell. 2026 wird der Autobauer den letzten Verbrenner neu auf den Markt bringen, 2033 den letzten Verbrenner produzieren. „Wir brauchen Technologieklarheit und müssen unsere Investitionen fokussieren". Produktionsseitig befindet sich das Unternehmen nun in einem massiven Transformationsprozess, denn es müssen sich Denkweisen, Strukturen und Prozesse verändern. Dazu gehöre auch, das Ökosystem um das Auto herum auszubauen. Audi werde unweigerlich ein Stück weit zum Software-Unternehmen. „Irgendwann werden wir vielleicht sogar von Usern und nicht mehr von Kunden sprechen."

Ohne Laden keine Elektromobilität. Pro Woche entstehen in Deutschland rund 330 Ladepunkte, es müssten aber 2.000 sein, um die künftigen Bedarfe abdecken zu können „Die Schaffung der Ladeinfrastruktur ist in Deutschland eine große, in Europa eine riesige Herausforderung." Daher arbeitet Audi über Kooperationsprojekte selbst an entsprechenden Angeboten – nicht nur in Europa, sondern auch in den größten Märkten USA und China.

Das Auto als digitaler Erlebnisraum

Das zweite Zukunftsthema neben der Elektromobilität ist und bleibt das autonome oder automatisierte Fahren – als technische Voraussetzung dafür braucht es den Mobilfunkstandard 5G. „Bisher wurden Autos von außen nach innen entwickelt, das wird sich drehen. Das Interieur wird hier zum digitalen Erlebnisraum", so Rittersberger. Damit die Passagiere eines selbstfahrenden Autos die Zeit zum Beispiel zum Arbeiten, Lesen oder Filmeschauen nutzen können, müssen sich Autobauer auch mit der Problematik der sogenannten „Motion Sickness" auseinandersetzen. Dafür entwickelt Audi mit einem Startup zusammen eine Brille, die Fahrbewegungen ausgleichen kann. Insgesamt werde es zunehmend um mehr Vernetzung mit der Umgebung gehen. Ein Stichwort ist hier Car-to-X. „Künftig werden wir im Zusammenhang mit dem Auto zudem ein viel größeres Angebotsspektrum und neue Geschäftsmodelle sehen – von temporär hinzubuchbaren On-demand-Funktionen über Abo-Modelle bis zu Kurzzeit-Leasing und Shared Mobility."

Die Zukunft der Mobilität sieht Jürgen Rittersberger als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Audi maßgeblich mitgestalten möchte. Wie passt es zur nachhaltigen Ausrichtung, ab 2026 in die Formel Eins einzusteigen, wie das Unternehmen kürzlich verkündete? Das und vieles mehr wollten die Gäste in der anschließenden Fragerunde wissen. Der Motorsport gehöre zur DNA von Audi. Entscheidend für Audi sei das neue Reglement des Automobil-Weltverbandes FIA, das ab 2026 unter anderem nachhaltige synthetische Kraftstoffe vorschreibe und den elektrischen Anteil der Antriebseinheit auf bis zu 50 Prozent anhebe. Die Formel Eins diene Autoherstellern seit eh und je als Testlabor unter Extrembedingungen. „Und wir versprechen uns eine Aufbruchstimmung für die Audi-Mannschaft."

Fotos: Kirsten Bucher

 

„Wirtschaftsgespräche am Main" ist ein exklusives Veranstaltungs- und Kooperationsformat, das die Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain gemeinsam mit der F.A.Z., der Messe Frankfurt und dem Hotel Steigenberger Frankfurter Hof ausrichtet. Es findet in der Regel zwischen zwei- und viermal pro Jahr statt.

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