„Qualitätsmedien sind wichtiger denn je“
Die Öffentlich-Rechtlichen haben schon einfachere Zeiten erlebt. Zwischen Digitalisierung und Kostendruck, Populismus und „Systempresse"-Anfeindungen sucht das lineare TV seinen Weg durch das 21. Jahrhundert. Hat das ehemals unangefochtene Leitmedium überhaupt eine Zukunft? Bei den 101. Wirtschaftsgesprächen am Main bot Dr. Thomas Bellut, seit über 30 Jahren beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) tätig und seit 2012 Intendant des Senders, einen seltenen Blick hinter die Kulissen. „Das Fernsehen lebt", so der eingefleischte Fernsehmacher kämpferisch, aber auch selbstkritisch. Welche Konsequenzen das ZDF etwa aus den herausfordernden Nachrichtenlagen rund um die Flüchtlingskrise oder das Erstarken der AfD gezogen hat, verriet er den rund 90 Gästen des Business-Luncheon-Formats im Frankfurter InterConti.
Von seinem Büro auf dem Mainzer Lerchenberg aus hat er einen hervorragenden Blick über die gesamte Metropolregion. Bei gutem Wetter lässt sich sogar die Frankfurter Skyline sehen. „Das zeigt mir immer wieder sehr deutlich, wie nah hier in der Region alles beisammen liegt", startete Bellut seinen Vortrag. Dass sich das ZDF Anfang der 60er Jahre überhaupt in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt ansiedelte, war eine schwere Geburt, wie Wirtschaftsinitiative-Geschäftsführerin Annegret Reinhardt-Lehmann bereits in der Begrüßung des Ehrengastes rekapituliert hatte. Auch Frankfurt sei damals neben Essen und Düsseldorf im Spiel gewesen. Am Ende fiel die Wahl in einer knappen politischen Entscheidung auf Mainz – und bescherte dem Rhein-Main-Gebiet damit am westlichen Rand jenseits der hessischen Grenzen einen starken Medienstandort. Hessen sei jedoch seit jeher ein sehr wichtiges Bundesland für das ZDF, führte der Sender-Chef aus. „Unser Marktanteil liegt hier aktuell bei 15,8 Prozent – nirgendwo werden wir so gerne gesehen."
Quo vadis, Fernsehen?
Den ersten Umbruch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk brachte die Einführung der privaten Sender, jetzt treibt die digitale Welt die Weiterentwicklung mit Macht. So hätten sich die Nutzungszahlen der Online-Mediathek, in der sich Fernsehbeiträge individuell abrufen lassen, in der jüngsten Vergangenheit verdoppelt. Hier sieht Bellut im Übrigen die Plattform der Zukunft für das ZDF, wie er auf Nachfrage aus dem Publikum bekannte. Auch Paid-Content-Angebote und Kooperationen etwa mit Amazon hat das ZDF auf dem Programm und wird diese weiter ausbauen.
Doch egal ob Video-on-Demand oder lineares TV – wichtig seien heute und morgen vor allem zwei Dinge: Information und Qualität. „Information ist gefragter und Qualitätsmedien sind wichtiger denn je", so Bellut. Dabei verwies er auf die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Mechanismen zur Verhinderung einer schnellen Gleichschaltung, ein starker Föderalismus, Marktunabhängigkeit durch Beitragsfinanzierung und der öffentliche Auftrag, den Grundwerten zu dienen – all das seien elementare Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus, die es auch weiterhin hochzuhalten gelte. Das zeige gerade der Blick in andere Länder wie USA, Polen, Ungarn oder Russland. „In Deutschland sind die öffentlich-rechtlichen Medien keine Plattform für Parteipolitik und wir unterdrücken auch keine Nachrichten." Diesen Vorwürfen sehen sich gerade ARD und ZDF aber seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 und den Silvester-Vorkommnissen am Kölner Hauptbahnhof vor allem aus den Reihen der erstarkenden Rechten ausgesetzt. „Wir haben sicher nicht alles richtig gemacht, aber viele Themenaspekte waren auch für uns neu und wir mussten und müssen lernen, damit adäquat umzugehen." Das ZDF sei sich seiner enormen Verantwortung bewusst und habe klare Konsequenzen gezogen. Laut Bellut sind das vier Punkte: „Meinung ist wichtig, aber Fakten sind wichtiger. Kein Mainstream-Surfing. Kriminalität durch Migranten nicht ignorieren, sondern sauber recherchieren. Eine Fehlerkultur etablieren."
Im Spagat
Glaubwürdigkeit ist in diesem Zusammenhang ein Stichwort, dass Dr. Thomas Bellut besonders umtreibt. Befragungen zeigten, dass rund 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland den Medien nicht glauben – nach Köln waren es zwischenzeitlich sogar 40 Prozent. Die AfD, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerne als „Systemmedien" verunglimpft, sei politische Realität geworden. Gleichzeitig habe das veränderte politische Klima die Arbeit für Journalisten deutlich erschwert und mancherorts auch gefährlicher gemacht. In Teilen Ostdeutschlands könnten Kamerateams nur noch mit Personenschutz drehen, hasserfüllte Zuschriften an Moderatoren seien sprunghaft angestiegen. Auch gibt es aus der AfD die politische Forderung, die Öffentlich-Rechtlichen abzuschaffen. Aus dem Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro gehen derzeit 4,36 Euro an das ZDF. „Wir können darauf nur reagieren, indem wir eine klare Distanz zur Exekutive wahren, politische Informationen mit Substanz vermitteln, uns um die junge Zielgruppe bemühen und die ländliche Bevölkerung nicht links liegen lassen. Wir brauchen die breite Unterstützung der Öffentlichkeit, um weiter bestehen zu können."