Wirtschaftsgespräche am Main 07.02.2020

Wirtschaftsgespräche am Main mit Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner

„Essen ist hochpolitisch geworden“

Die einen haben die Bullerbü-Idylle im Kopf, die anderen digitalisierte Ställe. „Wir müssen unser Bild von der Landwirtschaft überdenken – und zwar nach vorne“, sagt Julia Klöckner. Bei den 105. Wirtschaftsgesprächen am Main sprach die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft über die großen Veränderungen und zahlreichen Zielkonflikte, die ihr Politikfeld mit sich bringt. Ihre Aufgabe sieht sie im Ausgleich der Interessen – zwischen Lebensmittelerzeugern und Verbrauchern, Umweltschutz und Handel, auf deutscher, europäischer wie internationaler Ebene. Ein Job, bei dem die rheinland-pfälzische Winzertochter ganz in ihrem Element ist.

Ernährungsratgeber schaffen es regelmäßig an die Spitze der Bestsellerlisten. Woher kommt das große Interesse? „Am Ende ist es ganz einfach. Wir alle müssen essen und trinken. Jeder hat eine eigene Sichtweise und Meinung dazu", so die CDU-Politikerin. Bestätigung fand sie hier auch durch die rund 120 Gäste im Frankfurter Hotel InterContinental. Schließlich kamen so viele wie noch nie zu dem exklusiven Business Luncheon-Format.

Eine Premiere überdies für die Wirtschaftsgespräche am Main: das Thema Landwirtschaft. Trotz 105 Ausgaben. „Wir vergessen manchmal, dass in unserer Region seit eh und je mit Leidenschaft Landwirtschaft betrieben wird. Vom Weinbau über die Streuobstwiesen bis zur Grünen Soße. Das liegt in unserer DNA", erinnerte Wirtschaftsinitiative-Geschäftsführerin Annegret Reinhardt-Lehmann. Mit Julia Klöckner gebe es nun eine Bundeslandwirtschaftsministerin, die viel Herzblut und einen engen Bezug zu ihren Ressorthemen mitbringe – und zu FrankfurtRheinMain, ergänzte der Vorstandsvorsitzende des Unternehmernetzwerks Prof. Dr. Wilhelm Bender. Schließlich lasse sich ihre Herkunft aus dem Winzerort Guldenbach bei Bad Kreuznach mühelos dem „erweiterten Rhein-Main-Gebiet" zuschlagen. Bevor sie nach Berlin ging, lag ihre Wirkungsstätte zudem lange in Mainz und Wiesbaden – und damit mitten in der Metropolregion.

Landwirtschaft und Ernährung vor großen Herausforderungen

„Essen ist hochpolitisch geworden", konstatierte Ministerin Klöckner zu Beginn ihres Vortrags. Das Augenmerk habe sich verschoben, hin zu den Verbrauchern. Kein Zufall, denn die Landwirte werden immer weniger. „Wir haben heute bundesweit nur noch rund 277.000 landwirtschaftliche Betriebe." Die Menschen hätten in ihrem Alltag kaum noch direkte Berührungspunkte zur Erzeugung von Lebensmitteln. „Man hat manchmal den Eindruck, viele würden am liebsten Fleisch von Tieren essen, die nie geschlachtet wurden", spitzte sie zu.

Die Landwirtschaft des 21. Jahrhunderts stehe vor zahlreichen Herausforderungen. Die größte: 2050 werde die Weltbevölkerung um zwei Milliarden gewachsen sein. „Menschen, die hungern, finden keinen Frieden und machen sich im Zweifelsfall auf den Weg", erläuterte Klöckner die sicherheitspolitische Dimension. Auch hätten die Dürren der beiden letzten Jahre einen Vorgeschmack auf die Folgen des Klimawandels gegeben. „Dies verändert meine Aufgaben als Ministerin, macht sie internationaler, europazentrierter." So verwundert es auch nicht, dass Klöckners Ressort über den viertgrößten Forschungsetat aller Bundesministerien verfügt. Precision Farming, Stall der Zukunft, per Genschere veränderte Pflanzenzüchtungen: „Wir müssen offen sein für technische Innovationen. Die Digitalisierung spielt hier eine große Rolle. Romantisierende Vorbehalte können wir uns nicht leisten." Derzeit würden in der deutschen Agrartechnik rund vier von sechs Euro im Ausland verdient. Das müsse sich ändern.

Die Verbraucher sind gefragt

Gleichzeitig gelte es, die Wertschätzung für Lebensmittel und vor allem ihre Produzenten hochzuhalten. Stichwort Lebensmittelpreise. Auch brauche es ein anderes Bewusstsein dafür, welche Auswirkungen unser Verbraucherverhalten auf die Umwelt habe. „Früher wurden fünfzig Prozent des Haushaltseinkommens für Lebensmittel ausgegeben, heute zehn Prozent. Sind wir bereit, für Tierwohl und Nachhaltigkeit signifikant mehr zu bezahlen?" Noch klaffe eine Lücke zwischen dem, was Verbraucher sich wünschten und wie sie sich verhielten. „Mir ist wichtig, dass wir die Ernährungsindustrie nicht verteufeln. Wir müssen uns immer klar machen, dass wir noch nie so hochwertige Lebensmittel hatten wie heute", so die Ministerin. Die aktuelle Phase sei anstrengend, aber notwendig. Ihre Rolle sieht sie als Transmitter, als Vermittler zwischen den Interessen, auch mal als eine Art Blitzableiter angesichts der jüngsten Bauernproteste. Es gehe dabei um Effizienz und Ertragssicherung, den Schutz der Ressourcen und mehr Information, damit der Verbraucher künftig bessere Entscheidungen treffen könne. „Und am Ende zählt natürlich der Geschmack. Das ist und bleibt das Wichtigste beim Essen und Trinken."

Fotos: Kirsten Bucher

„Wirtschaftsgespräche am Main" ist ein exklusives Veranstaltungs- und Kooperationsformat, das die Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain gemeinsam mit der Messe Frankfurt, dem Hotel InterContinental Frankfurt und der F.A.Z. ausrichtet.

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