Wirtschaftsgespräche am Main 18.12.2025

Wirtschaftsgespräche am Main mit Lutz Diederichs, CEO von BNP Paribas Deutschland

Mit mehr Europa raus aus der Strukturfalle

Zehn pointierte Thesen zum Zustand der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft, ein leidenschaftliches Plädoyer für Europa und eine klare Positionierung gegen das halbleere Glas: Das boten die 121. Wirtschaftsgespräche am Main mit Lutz Diederichs, CEO von BNP Paribas Deutschland. Auf den letzten Metern des alten Jahres hatten die Wirtschaftsinitiative, die F.A.Z. und das Hotel Steigenberger Icon Frankfurter Hof nochmal zum Business Lunch eingeladen. Der diskussions- und meinungsstarke Bank-Chef sorgte für einen lebendigen Mittag und schickte die Gäste mit zahlreichen neuen Impulsen und Perspektiven in die Weihnachtspause.

Eine europäische Bank

„Wir verstehen uns nicht als Auslandsbank“, stellte Diederichs direkt klar. Die BNP Paribas ist eine der größten Banken des Kontinents und hat ihren Hauptsitz in Paris. In Deutschland ist sie bereits seit 1947 aktiv und heute mit rund 6.000 Mitarbeitern engagiert. Eigentlich sollte es um den gemeinsamen europäischen Kapitalmarkt gehen. Ein Thema, das die Bank- und Finanzbranche stark umtreibt – hatte doch bereits Dr. Stephan Leithner, Chef der Deutschen Börse, bei den vorangegangenen Wirtschaftsgesprächen am Main Ende Oktober hier angesetzt. Doch schnell wurde klar: Lutz Diederichs schlägt einen viel größeren Bogen. „Wir glauben an Deutschland und Europa“, machte er deutlich, bevor er die Diskussion mit zehn knackigen Sichtweisen eröffnete.

  1. „Deutschland steckt in der Komplexitätsfalle. Wirtschaft und Gesellschaft sind überfordert“, so die erste These von Diederichs. Dabei rekurrierte er auch auf die Politik-Expertin Constanze Stelzenmüller, die Deutschland attestiert hatte, seinen Energiebedarf nach Russland, seine Verteidigung in die USA und sein Wachstumsmodell nach China ausgelagert zu haben. Diese drei fundamentalen Säulen der deutschen Wirtschaft klappten gerade zeitgleich zusammen.
  2. „Die Probleme, die wir derzeit haben, sind nicht konjunkturell, sondern strukturell.“ Es brauche grundlegende Reformen.
  3. „Die Bundesregierung hat ein großes Investitionspaket geschnürt, aber nichts ist konkret auf den Weg gebracht.“ Einschließlich angekündigter EU-Investitionen stünden 1.600 Milliarden Euro zur Verfügung, die nicht abgerufen würden.
  4. „Das Momentum für Deutschland nach dem sogenannten ‚Liberation Day‘ von US-Präsident Trump ist abgeebbt.“ Nach der Einführung der US-Zölle im April habe es laut Diederichs einen spürbar größeren Kapitalzufluss nach Deutschland gegeben. Dieser Effekt sei aber wieder verschwunden.
  5. „Der Finanzsektor wird in Deutschland seit langem – und ganz besonders seit der Finanzkrise – nicht als strategisch wichtig anerkannt.“ Deutschland sei ein Industrieland, das sich für Finanzwirtschaft nicht sehr interessiere.
  6. „Der Finanzsektor ist Teil der kritischen Infrastruktur geworden. Doch wir brauchen privates Kapital, um die gewaltigen anstehenden Investitionen zu stemmen.“ Unternehmen hierzulande finanzierten sich zu 70 Prozent über Bankkredite und nur zu 30 Prozent über den Kapitalmarkt. In den USA sei es genau andersherum.
  7. „Wir benötigen dringend einen europäischen Kapitalmarkt als Baustein für Europas Unabhängigkeit.“ So brauche es auch geänderte Regeln für Banken, etwa bei der Eigenkapitalquote. Digitalisierung, grüne Transformation und Verteidigung seien langfristige Finanzierungen, für die Banken aktuell mehr Eigenkapital vorhalten müssten, was hemmend wirke.
  8. „Wir müssen Themen gesamtheitlich denken und den Reformstau abarbeiten.“ Hier betonte Diederichs vor allem das Demografieproblem und das Fehlen einer aktienbasierten Rente. Die Deutschen säßen auf 3.300 Milliarden Sicht- und Spareinlagen. Es müsse gelingen, aus Sparern Investoren zu machen. Dafür sei Finanzbildung extrem wichtig.
  9. „Als drittgrößte Volkswirtschaft der Welt müssen wir unsere Themen selbst lösen und können uns nicht auf andere verlassen.“ Deutschland habe einen Anteil von 24 Prozent am gesamteuropäischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) und stehe dadurch natürlich im Fokus. Im Ausland werde das Land als ewig jammernd, aber dennoch umsetzungsstark wahrgenommen. Eine Unterschätzung von innen und eine Überschätzung von außen, wähnt er hier.
  10. „Nachhaltiges Wirtschaften und Diversität sind ökonomische Notwendigkeiten. Wir müssen sie mit Wachstum zusammenbringen.“ Diederichs stört sich daran, dass diese Themen politisch „in die linke Ecke“ gestellt würden. Das Kümmern um die Natur könne man auch als wertkonservativ begreifen. Und qualifizierte Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt brauche es zwingend, um in der Zukunft Wachstum zu generieren. Hier kritisierte er das einseitige Augenmerk der Politik auf die illegale Zuwanderung.

Damit war der Boden bereitet. F.A.Z.-Redakteur Daniel Schleidt, der sich zum Zwiegespräch zu Lutz Diederichs aufs Podium gesellte, hatte zahlreiche Fragen an den Gast, genauso brachte sich auch das Publikum intensiv ein. So ging es unter anderem um den Finanzplatz Europa, die aktuelle Unsicherheit und Investitionszurückhaltung bei Unternehmen oder die Risikosensibilität der Deutschen. Und am Ende hatte er sogar noch einen Kultur-Tipp für den nächsten Paris-Trip in petto: die Gerhard-Richter-Ausstellung in der Fondation Louis Vuitton.

Vom Reden ins Tun kommen

Sein Mut machender Appell zum Schluss: „Lassen Sie uns mit dem Europa-Bashing und Schwarzmalen aufhören. Deutschland und Europa haben ihre Stärken und können mithalten. Wir müssen uns jetzt von unseren Fesseln befreien und für die europäische Idee kämpfen. Es lohnt sich!“

Michael Müller, Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsinitiative, nutzte die Gelegenheit, den Mitgliedern und Gästen herzlich für ihre Unterstützung 2025 zu danken und schöne Feiertage zu wünschen. Für 2026 hatte er direkt ein Save the Date auf dem Zettel: Die nunmehr 122. Ausgabe des Erfolgsformats Wirtschaftsgespräche am Main wird am 16. Februar stattfinden. Gast ist Condor-CEO Peter Gerber.

 

„Wirtschaftsgespräche am Main“ ist ein exklusives Veranstaltungs- und Kooperationsformat, das die Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain gemeinsam mit der F.A.Z. und dem Hotel Steigenberger Icon Frankfurter Hof ausrichtet. In der Regel finden zwei bis vier Ausgaben pro Jahr statt.

 

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Fotos: Kirsten Bucher

 

 

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