Möglichkeiten, Grenzen, Perspektiven
Die Wirtschaftswelt ist sich einig, dass Künstliche Intelligenz (KI) „the next big thing“ ist. Das heißt: Um das Thema werden große wie kleine Unternehmen über kurz oder lang nicht herumkommen. Manche fangen gerade erst an, andere sind schon mittendrin. Doch während sich mit KI scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten auftun, stellt sich mehr denn je die Frage, ob diese Zukunftstechnologie die hohen Erwartungen in der Praxis erfüllen kann. Wie nutzen Unternehmen heute schon KI? Was funktioniert – und was nicht? Genau darüber diskutierte Daniel Schleidt, F.A.Z.-Ressortleiter Wirtschaft in Rhein-Main, bei den 5. FRANKFURT FUTURE TALKS in spannender Runde. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten von AGAPLESION, der Deutschen Telekom, Fraport und Script Communications sowie rund 80 Gästen machte er in den Räumlichkeiten von Wirtschaftsinitiative-Mitglied memox den KI-Praxistest.
Anfang September meldeten sich die FRANKFURT FUTURE TALKS eindrucksvoll aus der Sommerpause zurück. Wie schon bei den letzten Ausgaben war das Interesse groß. Das Partner-Format von COPETRI, F.A.Z. und Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain verbindet die Themenbereiche People, Transformation und Innovation – immer mit dem so wichtigen Twist in Richtung Zukunft und Lösungsorientierung. Und das kommt in der regionalen Business-Community an.
Fast jede und jeder hat ChatGPT oder Copilot schon einmal mit einem Prompt gefüttert. In vielen Unternehmen steht die generative KI auf der Agenda – und spielt im besten Fall sogar eine strategische Rolle. Das ergab die Schnell-Umfrage im Publikum. „Wir wollen heute lernen, wo in Sachen KI konkret der Schuh drückt“, startete Daniel Schleidt den Blick hinter die Unternehmenskulissen und den Dialog mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Auf dem Panel nahmen dafür Platz: Claudia Möller, Leiterin Forschung, Entwicklung und Innovationsmanagement bei AGAPLESION, Arno Selhorst, Innovation Manager bei der Deutschen Telekom, Christian Wrobel, Chief Data Architect bei Fraport, und Sascha Stoltenow, Partner bei Script Communications. Ein vielversprechender Branchen- und Perspektivenmix!
Was Eisenhower mit KI zu tun hat
Die erste Frage des Abends lautete: Was sollte man tun, um sich dem Thema KI zu nähern? „Ein Prompt ist nicht nur eine Anweisung an eine Maschine, sondern eine formulierte Absicht“, so Kommunikations- und Transformationsexperte Sascha Stoltenow. Seine Empfehlung ist daher gleichermaßen analog wie pragmatisch und referenziert auf die Eisenhower-Matrix, mit der sich Aufgaben nach Wichtigkeit und Dringlichkeit priorisieren lassen. „Fange damit an, Dinge von der KI erledigen zu lassen, die Du häufig machen musst und ungern tust.“ Und auch für kleinere Unternehmen hatte der Agenturpartner einen Tipp im Gepäck: „Weniger klagen, mehr machen und viel ausprobieren.“ Aber wie auch bei großen Unternehmen sei es hier wichtig, Transparenz über die Nutzung von KI zu schaffen, die kulturelle Dimension zu bearbeiten und die Mitarbeitenden mitzunehmen.
Wie KI auch am Menschen wirkt
Das Potenzial für den Einsatz von KI in der Medizin ist riesig – das unterstrich auch Claudia Möller. Sie kümmert sich beim Gesundheitsunternehmen AGAPLESION, das rund 20.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mehr als 6.000 Klinikbetten und über 3.600 Pflegeplätze hat, um die Zukunft der Gesundheitsversorgung. Vor zwei Jahren habe der christlich orientierte Konzern angefangen, sich intensiver mit dem Thema KI zu beschäftigen und kürzlich erfolgreich einen internen KI-Gipfel veranstaltet. Mit Blick auf konkrete Anwendungsfälle sei jedoch Umsicht geboten. „In der hochregulierten Gesundheitsbranche wird der Einsatz von KI oder einer App schnell zum Medizinprodukt, das dem hochkomplexen Medizinproduktegesetz unterliegt." Doch habe der Gesundheitssektor gar keine andere Wahl, als auf KI zu setzen. Aufgrund des Personalmangels gelte es, Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegkräfte von administrativen Arbeiten und Dokumentationsaufgaben zu entlasten, damit sie ihre Zeit am Menschen einsetzen könnten, so Möller. Ein laufendes Pilotprojekt verriet die Leiterin des Innovationsmanagements aber doch: Ein KI-Tool soll künftig Patientengespräche transkribieren und Arztbriefe aus Patientenakten generieren.
Was KI-Enthusiasmus bewegt
Das „Dickschiff“ Deutsche Telekom ist hier schon ein gutes Stück weiter. In der Analogie eines Marathon-Laufs sei vielleicht bereits die Hälfte geschafft, berichtete Arno Selhorst. Bis zu 400 KI-Projekte betreibt die Telekom. „Wie irre ist es, dass man ein Bildmotiv beschreiben kann und in Sekunden wird es durch die KI generiert?“, schilderte Selhorst seinen eigenen Schlüsselmoment, der ihn vor ein paar Jahren zum KI-Enthusiasten machte. So wie er brennen bei der Telekom viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für KI. Bereits mehr als 60.000 Kolleginnen und Kollegen habe das Innovationsmanagement-Team online und offline mit Schulungen bespielt. Trotz seiner Begeisterung plädierte Selhorst dafür, sich ein differenziertes Bild zu machen. „KI ist keine Naturgewalt, wir sind Teil der Gestaltung dieser Technologie.“ Wo kommt KI bei der Telekom zum Einsatz? Zum Beispiel in Form eines AI Outbound Voice Bots, der in der Lage ist, 20.000 Kundentermine pro Woche zu vereinbaren. Auch engagiert sich die Telekom in einer globalen Allianz, die ein komplettes Large Language Model (LLM) für Telco entwickelt „Wir würden gerne mit Volldampf nach vorne rennen. Aber die Compliance, etwa mit dem EU AI Act, hat das letzte Wort. Kundendaten sind bei der Telekom das Allerheiligste.“
Wie KI hilft, dem demografischen Wandel zu begegnen
KI und Flughafen? Wie geht das zusammen? Darüber sprach Christian Wrobel. „Ehrlich gesagt beschäftigt sich Fraport auch aus der Not heraus mit KI. Der demografische Wandel schlägt bei uns voll durch. In den nächsten zehn Jahren werden viele unserer Mitarbeitenden in Rente gehen.“ Es gehe aber ebenso darum, die operativen „Frontline Workers“ zu erreichen. Denn mit jedem KI-Anwendungsfall entstünden neue Rollen. „Wir müssen als Unternehmen Zeit zum Lernen integrieren.“ Ein FraportGPT und eine Prompting Challenge helfen dabei, die Neugier hochzuhalten. Einige Leuchtturmprojekte, die Technologien aus dem KI-Spektrum einsetzen, beschrieb Wrobel sehr konkret: So muss der Lademeister die Dokumentation bei der Flugzeugabfertigung nicht mehr manuell auf einem Handheld-Gerät machen, sondern Kameras tun dies automatisiert. Weitere Beispiele: Lärmmessung und -klassifizierung oder ein KI-basierter Fingerabdruckt für jedes Gepäckstück. „Wir müssen immer schauen: Was kann die Maschine besser als ich? Und wie viel Mensch braucht die Maschine?“