Netzwerk 22.02.2023

Initiative JOBLINGE: Fünf Fragen an CEO Kadim Tas

„Gemeinsam konnten wir die beruflichen Biografien von Tausenden jungen Menschen zum Positiven verändern“

Die Initiative JOBLINGE zeigt, was möglich ist, wenn Wirtschaft, Staat und Privatpersonen an einem Strang ziehen, um junge Menschen mit schwierigen Startbedingungen zu unterstützen – und die Lücke zwischen ihrer Herkunft und Zukunft zu schließen. In FrankfurtRheinMain ist JOBLINGE seit über zehn Jahren erfolgreich aktiv – unterstützt von zahlreichen Unternehmen, auch aus dem Kreis der Wirtschaftsinitiative. Im Interview beschreibt CEO Kadim Tas, wie der besondere Ansatz der Organisation aussieht, wie viele Jugendliche JOBLINGE in der Region bereits auf dem Weg in eine Ausbildung begleitet hat und warum er fest an sozialunternehmerische Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen glaubt.

Herr Tas, was sollte man über JOBLINGE wissen? Wie und warum ist die Initiative entstanden?

JOBLINGE wurde 2008 als aus der Wirtschaft kommende Antwort auf das gesamtgesellschaftliche Problem steigender Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland gegründet. Unsere Initiatoren der Boston Consulting Group und der Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG schlossen sich damals zusammen, um herauszufinden, warum es trotz zahlreicher Unterstützungsmaßnahmen im sogenannten Übergangssystem zwischen Schule und Beruf nur wenigen Jugendlichen gelang, im Arbeitsleben Fuß zu fassen – das Projekt JOBLINGE nahm seinen Anfang. Der JOBLINGE-Ansatz beinhaltete von Anfang an Messbarkeit und Nachhaltigkeit, um so eine größtmögliche Wirkung zu erreichen – für die Jugendlichen, aber auch für die Unternehmen und alle weiteren Unterstützerinnen und Unterstützer. Und es ging um Skalierbarkeit, um das Konzept auf alle Städte und Regionen übertragen zu können, in denen Interesse und Bedarf bestand und besteht.

15 Jahre später ist JOBLINGE an über 30 Standorten bundesweit vertreten, über 15.000 Jugendliche haben wir auf dem Weg in eine Ausbildung begleitet mit einer durchschnittlichen Vermittlungsquote von 74 Prozent, rund 2.500 Partnerunternehmen zählen wir zu unserem Netzwerk. Gemeinsam konnten wir die beruflichen Biografien von Tausenden jungen Menschen zum Positiven verändern. Der Erfolg des JOBLINGE-Programms beruht auf gebündeltem lokalem Engagement, einer individuellen 1:1-Betreuung unserer Teilnehmenden durch Mentorinnen und Mentoren, praxisnaher Berufsorientierung sowie einer unternehmerischen Haltung, die sich vom professionellen Auftreten des Teams bis hin zur Orientierung an Kennzahlen und transparenter Erfolgsmessung in allen Prozessen wiederspiegelt. Durch uneingeschränktes Vertrauen in die Potenziale von jungen Erwachsenen gelingt es JOBLINGE, langfristige Perspektiven für Individuen, Staat und Gesellschaft zu schaffen.

Wo ist JOBLINGE in FrankfurtRheinMain vertreten? Wie vielen benachteiligten Jugendlichen konnten Sie hier bereits helfen?

Insgesamt ist JOBLINGE an sechs Standorten in der Rhein-Main-Region vertreten – zweimal in Frankfurt am Main, in Offenbach, Darmstadt und Wiesbaden sowie angrenzend in Mainz. Die JOBLINGE gAG FrankfurtRheinMain wurde im Jahr 2010 gegründet und hat in diesem Zeitraum kontinuierlich Kontakte zu regional bedeutsamen Akteuren aufgebaut und verstetigt. Zu unseren Premiumpartnern aus der Region gehören beispielsweise J.P. Morgan, Samson AG, Bank of America oder Provadis. Zusätzlich zählen zum ehrenamtlichen Aufsichtsrat der gAG FrankfurtRheinMain wichtige Vertreterinnen und Vertreter regionaler Unternehmen wie der WISAG Facility Service Holding, Messe Frankfurt, Gonder Facility Services oder dem Arbeitgeberverband Chemie und verwandte Industrien.

Neben den großen Kooperationspartnern unterstützen uns in Frankfurt am Main auch über 350 kleine und mittlere Betriebe auf vielfältige Weise dabei, unseren Teilnehmenden den Einstieg und langfristige Perspektiven am Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Über 2.500 junge Menschen sind seit Gründung der JOBLINGE gAG FrankfurtRheinMain erfolgreich in Ausbildung gemündet. Das entspricht einer durchschnittlichen Vermittlungsquote von über 85 Prozent. Darauf sind wir gemeinsam mit unseren zahlreichen Kooperationspartnern sehr stolz!

Fachkräftemangel vs. unversorgte Bewerberinnen und Bewerber: Wie schätzen Sie die Herausforderungen am Arbeitsmarkt derzeit ein?

In Deutschland fehlen potenzialorientierte und pragmatische Ansätze, dem Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel zu begegnen – und die nötigen Rahmenbedingungen, um bestehende Ansätze wirkungsvoll zu skalieren. Die Zahlen zeigen: Rund zwei Millionen unbesetzte Arbeitsplätze stehen ca. 2,3 Millionen Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsausbildung gegenüber. Zu viele Potenziale für den Arbeitsmarkt werden noch nicht ausgeschöpft. Das betrifft insbesondere junge Menschen mit sozialer Benachteiligung, die durch starre Bewerbungsraster fallen oder keine passgenaue Qualifizierung erhalten. Statt Hürden abzubauen, halten wir an formellen Ausschlusskriterien wie dem „perfekten" Lebenslauf fest. Das bestätigt auch die dramatische Zahl unbesetzter Ausbildungsstellen. Im vergangenen Jahr blieben laut dem Institut der deutschen Wirtschaft 63.000 Ausbildungsstellen unbesetzt. Die Herausforderungen am Arbeitsmarkt sind demnach vor allem durch Passungsprobleme gekennzeichnet, die sich jedoch nach Berufsgruppen, Regionalität und Sektor unterscheiden. Bei JOBLINGE sind wir überzeugt davon, dass mit bedarfsgerechter Qualifikation, einer stärkenorientierten Haltung und zeitgemäßen Begegnungsformaten zwischen Unternehmen und potenziellem Nachwuchs nicht nur persönliche Biografien neugeschrieben werden, sondern auch die Arbeitsmarktsituation in Deutschland zum Positiven verändert werden kann.

Wie können sich interessierte Unternehmen bei JOBLINGE einbringen?

Unternehmen und ihre Mitarbeitenden können sich auf vielfältige Weise bei JOBLINGE engagieren. Die Möglichkeiten reichen von finanziellen Spenden, auf die wir zur Umsetzung innovativer und strategischer Projekte angewiesen sind, über Ausbildungsbetriebe, die Praktika anbieten möchten, bis hin zu größer angelegten Corporate-Volunteering-Projekten, über die Unternehmen die Expertise ihrer Mitarbeitenden zum Beispiel im Rahmen von Mentorings für unsere Teilnehmenden einbringen. Dabei verstehen wir uns bei JOBLINGE als Partner und Anbieter von Win-win-Lösungen auf Augenhöhe und schauen ganz individuell nach Engagement-Formen, mit denen wir die Zusammenarbeit gewinnbringend für beide Seite aufsetzen und weiterentwickeln können.

Was ist Ihre persönliche Motivation, sich für dieses Thema einzusetzen?

Jede und jeder kann sich fragen: Wie viele Kolleginnen und Kollegen kenne ich, die einen Hauptschulabschluss als Bildungsstand aufweisen? Der Sprung aus einem bestimmten sozialen Milieu lässt sich in Deutschland für junge Menschen, die in benachteiligenden Strukturen aufwachsen, schwer vollziehen. Es ist und bleibt ein ambitioniertes Vorhaben, Menschen entgegen ihrer formalen Qualifikation in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Doch die Frage der sozialen Mobilität und die Motivation, chancengerechte Zugänge zum Arbeitsmarkt zu fördern, schließt sozialunternehmerisches Denken nicht aus, ganz im Gegenteil. Meine Arbeit bei JOBLINGE zeigt mir jeden Tag aufs Neue, wie viel Innovationskraft in Sozialunternehmen steckt und welche nachweisliche Wirkung sektorübergreifende Zusammenarbeit leisten kann. Gesellschaftliche Herausforderungen unternehmerisch zu lösen, mit einem großartigen Team, das sich jeden Tag den Jugendlichen in unserem Programm verschreibt, gemeinsam mit vielen Partnern, die zusammen an einem Strang ziehen – das ist meine Motivation.

 

Fotos © JOBLINGE

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Zur Person:

Kadim Tas, geboren 1976 in Kovik, studierte Politologie an der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main. Bereits parallel zu seinem Studium war er in der Jugendarbeit tätig und hat in mehr als 20 Jahren verschiedene Projekte für benachteiligte Jugendliche betreut und geleitet. Mit der Gründung der JOBLINGE gAG Frankfurt im Jahr 2011 startete er als Managing Director bei der Initiative JOBLINGE und übernahm kurze Zeit später zusätzlich die Rolle des operativen Vorstands der JOBLINGE-Dachorganisation (e.V.).  Seit 2022 ist Kadim Tas CEO von JOBLINGE und verantwortet neben der überregionalen Leitung auch die stete Weiterentwicklung der Initiative und des Konzepts. Als Visionär glaubt Kadim Tas fest an sozialunternehmerische Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen und geht stets neue Wege, um jungen Menschen Chancen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft zu ermöglichen. Kadim Tas ist verheiratet und lebt mit Frau und Kindern in Frankfurt am Main. 

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