Neumitglied Jahrhunderthalle: Welcome-Interview mit Geschäftsführer Moritz Jaeschke
„Der Event-Standort FrankfurtRheinMain braucht Kreativität“
Das Corona-Virus trifft die Veranstaltungsbranche mitten ins Herz. Es gilt: Safety first. Konzerte, Messen, Kongresse, Events – abgesagt oder verschoben. Eine enorme Herausforderung insbesondere für die Betreiber der großen Veranstaltungsstätten in der Region. Zu ihnen gehört auch die Jahrhunderthalle – seit Anfang des Jahres Mitglied der Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain. Geschäftsführer Moritz Jaeschke stellt im Interview die ikonische Veranstaltungsstätte und ihr besonderes Konzept vor und berichtet, wie er mit seinem Haus die aktuelle Situation erlebt. Die Wirtschaftsinitiative sagt gerade jetzt umso herzlicher: Willkommen in unserem Netzwerk!
Herr Jaeschke, wie ist die Lage bei Ihnen angesichts der Corona-Krise?
Die aktuelle Krise trifft nicht nur die gesamte Veranstaltungsbranche hart. Hinter uns im Speziellen liegen bewegte Zeiten, die ganz neue Herausforderungen mit sich gebracht haben. Klar, unser Geschäft ist erstmal bis 19. April weggebrochen. Größtenteils ist es uns jedoch gelungen, die betroffenen Veranstaltungen zu verschieben. Wir, als Teil eines Konzerns, sind im Vergleich zu kleinen unabhängigen Veranstaltern oder der Dienstleistungsbranche im Veranstaltungsbereich in einer guten Situation. Die DEAG Deutsche Entertainment AG, unser Mutterhaus, ist gut aufgestellt und der gegenseitige Austausch ist hilfreich. Ich hoffe, dass die gesamte Veranstaltungsbranche mit Hilfe von Unterstützungsprogrammen möglichst weich fällt und die kulturelle Vielfalt irgendwie erhalten bleibt. Für alle ist jetzt in erster Linie entscheidend, in welcher Zeitspanne die Verbote greifen und wie sich Bund und Land letztlich ganz konkret für die Ausfälle in der Wirtschaft stark machen.
Stellen Sie uns doch bitte Ihr Haus kurz vor, das ein weit sichtbares Wahrzeichen in der Region ist und für viele Menschen in FrankfurtRheinMain ein Ort, mit dem sie schöne Erlebnisse verbinden. Was macht die Jahrhunderthalle so besonders?
Die Jahrhunderthalle schafft es seit fast 60 Jahren, Kultur und Unterhaltung für Frankfurt und die Region zur Verfügung zu stellen. Und das in einer Breite, die keine andere Event-Location im Umkreis bietet. Wir sprechen junge und ältere Menschen an, haben große und kleine Veranstaltungen im Programm. Vom Klassik- bis zum Rock-, Pop- oder Heavy Metal-Konzert und von der Comedy-Show bis zum Verbrauchermarkt ist alles dabei. Bei uns findet wirklich jeder etwas für seinen Geschmack.
Eine Besonderheit gibt es neben der Architektur in der Tat: Wir sind zu 100 Prozent in privatem Besitz. Nur wenige andere Veranstaltungsstätten in Deutschland, die sich in dieser Größenordnung bewegen, verfolgen ein ähnliches Geschäftsmodell. Ein Beispiel wäre noch das Tempodrom in Berlin. Die Jahrhunderthalle wurde zum 100. Geburtstag der Hoechst AG – einst das größte Pharmaunternehmen der Welt – gebaut. Als Geschenk an die Mitarbeiter des Unternehmens und an die Region. Diesen emotionalen Bezug spürt man auch heute noch. Ende der 90er Jahre nach der Aufspaltung der Hoechst AG erfolgte die Übernahme der Jahrhunderthalle durch die DEAG, zu der wir als Betreiber bis heute gehören. Seitdem haben wir keine öffentliche Kulturförderung in Anspruch genommen, sondern mit Kultur Geld verdient.
Wie ist die Jahrhunderthalle aufgestellt und organisiert?
Da wir keinen öffentlichen Auftrag haben, können wir völlig frei entscheiden, welche Veranstaltungen wir im Haus haben wollen. Wir leisten uns spannende Events, die profitabel sind und solche, die wir für vielversprechend halten. Auch spielen Vermietung und Firmenveranstaltungen bei uns eine große Rolle. Zudem sind wir als Unternehmen schlank aufgestellt, haben ein flexibles und schlagkräftiges Team mit 20 Mitarbeitern. Während der Veranstaltungen kommen durch Dienstleister natürlich deutlich mehr Mitarbeiter zum Einsatz. So konnten wir zuletzt bis zu 350 Veranstaltungen pro Jahr realisieren und die komplette kulturelle Bandbreite kommerziell abbilden.
Hoffentlich werde Veranstaltungen bald wieder auf der Agenda stehen können. Was haben Sie Unternehmen, die dann eine Location suchen, konkret zu bieten?
Die Jahrhunderthalle ist einzigartig. Die meisten kennen den Kuppelsaal und die Bühne, auf der schon Janis Joplin und Jimi Hendrix gespielt haben. Aber wir haben noch viele weitere, modern ausgestattete Locations im Angebot. Konferenzräume, das Kasino, eine Bar im Stil der 60er Jahre, den Club, das Foyer. Unsere Räumlichkeiten sind vielfältig nutzbar, hier lassen sich Firmenveranstaltungen hervorragend inszenieren. Tagungen, Kongresse, Hauptversammlungen, Strategie- oder Innovationsworkshops, Projekt-Sessions, Jubiläumsfeiern, Produktpräsentationen, Sommerfeste, Hackathons, indoor oder outdoor – alles machbar bei uns. Unsere Haustechnik ist digitalisiert und auf dem neuesten Stand. Und man muss auch sagen: Die Hoechst AG hat das Haus top gepflegt, wir haben eine sehr gute Substanz. Die Mitglieder der Wirtschaftsinitiative sind herzlich eingeladen, mich gerne jederzeit anzusprechen, wenn das Planen von Veranstaltungen wieder ein Thema wird.
Mit welchen Ideen und Innovationen tragen Sie die Jahrhunderthalle in die Zukunft?
Die Live-Entertainment-Branche entwickelt sich ständig weiter. Der Veranstaltungsstätte kommt heute eine andere Bedeutung zu, es gibt neue Vermarktungsmöglichkeiten, die Kommunikation mit Gästen ist etwa durch Social Media deutlich direkter und einfacher. Der Bereich der Kundenbindung bietet durch die digitalen Entwicklungen ein enormes Potenzial. Da sind wir natürlich vorne mit dabei. In diesem dynamischen Umfeld halten wir auch immer die Augen offen nach modernen Veranstaltungskonzepten. Dazu gehört zum Beispiel der Food Truck Friday auf der Wiese vor der Jahrhunderthalle oder unsere Konzertreihe Music Sneak im Club der Jahrhunderthalle, bei der drei Bands auftreten, die vorher nicht verraten werden. Den Club haben wir vor gut drei Jahren eröffnet, als kleine Spielstätte in originärem 60-er Jahre-Ambiente. Hier können sich junge und unbekanntere Talente auf einer kleinen Bühne ausprobieren und bewähren – und vielleicht sogar den Sprung auf die größere Bühne schaffen. Zweimal ist das bereits gelungen. Um diese tolle Leistung zu würdigen, haben wir sogar eigens einen Award ins Leben gerufen, den „Durchstarter".
Was bewegt die Menschen? Wir versuchen einfach, ein Spielfeld für Kreative zu bieten, nah an den Trends zu sein und sie natürlich nach Möglichkeit auch mitzugestalten. Die Jahrhunderthalle kann sich durchaus auf die Fahnen schreiben, ihren Beitrag zum Siegeszug der Comedy geleistet zu haben. Schließlich hat Badesalz es in unserer Halle erstmalig gewagt, eine Show vor großem Publikum zu spielen. Nach der Comedy kam das Live-Kochen, jetzt verschmelzen die Genres mehr und mehr. Zuletzt gingen Spoken Word-Veranstaltungen mit unterhaltsamem Charakter zu Lifestyle-Themen sehr gut.
Sobald wieder an die Durchführung von größeren Veranstaltungen zu denken ist, hoffe ich sehr, dass wir so tolle neue Projekte wie zum Beispiel das 1. Frankfurt Burlesque-Festival weiter vorantreiben und den Menschen in FrankfurtRheinMain anbieten können.
Was macht aus Ihrer Sicht die Region aus – was macht sie stark?
FrankfurtRheinMain hat eine große Wirtschafts- und Kaufkraft. Mittendrin präsentiert sich Frankfurt als Stadt mit Strahlkraft, mit einer offenen Stadtgesellschaft, wo sich Unternehmen und Akteure gegenseitig unterstützen. Darauf setze ich im Übrigen auch angesichts der aktuellen Ereignisse.
Es ist für uns ein klarer Wettbewerbsvorteil, dass die Jahrhunderthalle genau in dieser Region steht. Frankfurt liegt sehr zentral, aber es ist eben auch wirtschaftlich attraktiv für Künstler, hier aufzutreten. Über die Ticketpreise sind höhere Erlöse möglich als anderswo, die Konzertbranche weiß das. Das sorgt dafür, dass wir als Event-Standort eine bundesdeutsche und internationale Bedeutung haben.
Was braucht der Event-Standort FrankfurtRheinMain?
Natürlich geht es jetzt zu allererst einmal darum, durch diese noch nie dagewesene Krise hindurchzusteuern. Darüber hinaus sehe ich die Herausforderung, dass wir Veränderungen aktiv angehen müssen. Es ist wichtig, unsere Kulturszene heterogen zu halten, Subkulturen zu fördern, ungewöhnliche und innovative Konzepte zuzulassen – dazu gehört auch der Umgang mit der einen oder anderen Zumutung, zum Beispiel Lärm durch Open-Air-Bühnen etc. Der Event-Standort FrankfurtRheinMain braucht Kreativität. Wir können doch nicht wollen, dass alles Kreative sich nur noch in Berlin abspielt.
Was die Infrastruktur betrifft: Alle Experten sagen, wenn eine Region in Deutschland eine große Multifunktionshalle verträgt, dann ist das FrankfurtRheinMain. Eine solche Arena ist wichtig für die ganz großen Events und Konzerte und gerade auch für die Sportvereine. Da geht es um andere Dimensionen als in der Jahrhunderthalle. Aber das befruchtet sich gegenseitig.
Wenn ich mir für die Jahrhunderthalle noch etwas wünschen dürfte, wäre das ein Hotel in Hallennähe und ein Parkhaus. Aber diese Themen sind schon lange in der politischen Diskussion.
Was ist Ihre Motivation, sich für die Metropolregion FrankfurtRheinMain und in der Wirtschaftsinitiative einzubringen?
Ich lebe hier und liebe das Rhein-Main-Gebiet. Natürlich möchte ich, dass es der Region gut geht und freue mich auf einen gegenseitigen Austausch. Vernetzung und Zusammenarbeit finde ich wichtig – so entstehen neue Konzepte. Deshalb engagiere ich mich in der Wirtschaftsinitiative.
Vielen Dank und alles Gute.
Zur Person
Moritz Jaeschke hat nach seinem Studium der Tourismusbetriebswirtschaftslehre vielfältige Erfahrungen in der Veranstaltungsbranche, insbesondere dem Venue Management gesammelt. Nach Stationen in der Max-Schmeling-Halle und dem Velodrom in Berlin prägt er seit dem Jahr 2000 die Geschicke der Jahrhunderthalle Frankfurt, seit Januar 2018 als Geschäftsführer. Außerdem ist er nebenberuflicher Dozent an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg sowie Co-Autor touristischer Fachliteratur.
Fotos © Kultur- und Kongresszentrum Jahrhunderthalle GmbH, Lucas Körner