Events 24.11.2020

Prof. Dr. Klaus Cichutek: „Wir können als Biotechnologie-Standort weltweit mithalten“

Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts mit Gastvortrag auf der Mitgliederversammlung

Es gibt endlich Licht am Ende des Tunnels. Vielversprechende Nachrichten von Impfstoffentwicklern lassen Menschen weltweit darauf hoffen, dass sich die Corona-Pandemie absehbar eindämmen lässt. Doch wie sind die Studienergebnisse von Pfizer / BioNTech, Moderna & Co. konkret einzuschätzen? Wann wird der erste Impfstoff verfügbar sein? Wie entsteht ein Impfstoff überhaupt und wie wirkt er? Wenn hierzulande darauf jemand Antworten weiß, dann ist es Prof. Dr. Klaus Cichutek. Im Anschluss an die aktuelle virtuelle Mitgliederversammlung der Wirtschaftsinitiative schaltete sich der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) per Video zu und nahm sich eigens die Zeit, die Teilnehmer in die Welt der Impfstoffentwicklung und -zulassung einzuführen. Und das nach einem Meeting-Marathon mit Vertretern der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Corona-Know-how aus FrankfurtRheinMain!

Ein stürmisches Pandemie-Jahr neigt sich dem Ende zu. Wie es 2021 – gerade auch für die Wirtschaft – weitergeht, entscheidet sich derzeit an der Impfstoff-Front. Mittendrin: das Paul-Ehrlich-Institut. „Unsere Tätigkeit ist absolut in den Fokus gerückt", sagte Prof. Cichutek zu Beginn seines Vortrags. Noch vor wenigen Monaten war die Bundesbehörde mit Sitz in Langen, die unter anderem für die Zulassung von Impfstoffen in Deutschland zuständig ist, in der Breite der Bevölkerung wenig präsent. „Und das, obwohl wir schon eine ganze Reihe von Pandemien hinter uns haben", rekapitulierte der PEI-Präsident. Dabei machte er klar, welche erhebliche Rolle der Impfstatus im pandemischen Geschehen spielt. Bei den Corona-Viren hat sich die Impfstoffentwicklung bislang schwergetan – Stichwort SARS und MERS. Jetzt stellt das neuartige Corona-Virus SARS-CoV-2 die Forscher vor Herausforderungen – und entfacht einen nie dagewesenen Impfstoff-Wettlauf mit der Zeit.

Bei einer natürlichen Infektion erkennt und bekämpf das Immunsystem einen Erreger und entwickelt ein anhaltendes Immungedächtnis. Diesen Mechanismus macht sich die Forschung zu Nutze und beschreitet mit Lebend-, Tot- oder Vektorimpfstoffen unterschiedliche Wege, wie Prof. Cichutek erläuterte. Besonders vielversprechende SARS-CoV2-Impfstoffkandidaten setzen auf die neue mRNA-Technologie. Die These von Impfgegnern, dass ein mRNA-Impfstoff das menschliche Erbgut verändere, wies der PEI-Präsident in diesem Zusammenhang vehement zurück.

Klinische Prüfung in drei Phasen

Was passiert nun auf dem Weg vom Labor bis zur tatsächlichen Impfung? Damit das Paul-Ehrlich-Institut einen potenziellen Impfstoff für eine klinische Studie am Menschen zulässt, muss der Hersteller zunächst Daten zu ausreichenden präklinischen Tests vorlegen – etwa in Tierversuchen. Die anschließende klinische Prüfung erfolgt in drei Phasen. Der Impfstoff wird gesunden Freiwilligen verabreicht, in Phase 3 können es Zehntausende sein. Geprüft wird auf Nebenwirkungen, Verträglichkeit, Dosierung, Wirkung, Impfschema etc. Trotz des Zeitdrucks mache das PEI natürlich keine Kompromisse bei der Sicherheit. „Wir übernehmen die Verantwortung dafür, dass Menschen in klinischen Studien nichts oder nur sehr, sehr wenig passiert", so Prof. Cichutek.

Spätestens seit Mitte November schaut die Welt auch gebannt nach FrankfurtRheinMain. Denn das Mainzer Unternehmen BioNTech und der US-Pharmakonzern Pfizer gehören mit ihrem mRNA-Impfstoff zu den „Front-Runnern", neben Moderna aus den USA und AstraZeneca und der Universität Oxford aus Großbritannien. Alle befinden sich mit ihren Impfstoffen derzeit bereits in Phase drei. Hier wird in der sogenannten Doppelverblindung, einem Verfahren mit hoher Evidenzkraft, getestet. Pfizer und BioNTech berichten von einer 95-prozentigen Effektivität. Das PEI hält sich mit konkreten Aussagen zu Impfstoffkandidaten zurück, ebenso zu Zulassungszeitpunkten. Sobald alle Daten vorlägen, werde genau geprüft und dann entschieden, so Prof. Cichutek. „Was ich aber sagen kann: Wir sind sehr froh, dass Deutschland mit BioNTech aus Mainz, CureVac aus Tübingen und verschiedenen akademischen Zentren ganz vorne mitspielt bei der COVID-19-Impfstoffentwicklung. Das zeigt, dass wir als Biotechnologie-Standort weltweit mithalten können. Und dazu trägt auch eine starke regulatorische Behörde bei."

Leuchtende Schweinwerfer

Prof. Dr. Wilhelm Bender, der Vorstandsvorsitzende der Wirtschaftsinitiative, bedankte sich sehr herzlich für den anschaulichen und detailreichen Input. „Wir sind sehr stolz, dass BioNTech und das PEI in unserer Region ansässig sind und uns als leuchtende Scheinwerfer durch die Pandemie führen." Über die eingerichtete Chat-Funktion konnten die teilnehmenden Mitglieder nun Fragen an Prof. Cichutek stellen, was sie rege nutzten. Sein Schlusswort: „Es wird darauf ankommen, wie die Bevölkerung die Impfstoffe annimmt." Das Ziel sei eine Durchimpfungsrate von 60 bis 70 Prozent, damit der Herdenschutz einsetzen könne. Die logistischen Planungen für die zentrale Verteilung und Verabreichung der Impfstoffe laufen auf Bundes- und Länderebene bereits auf Hochtouren. Sobald das „Go" des PEI vorliegt, kann es losgehen.

Foto © T. Jansen / PEI