Wirtschaftsgespräche am Main 29.04.2019

Wirtschaftsgespräche am Main mit ESA-Generaldirektor Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner

„Von oben hat Europa keine Grenzen“

Der Himmel über FrankfurtRheinMain zeigte sich Ende April grau in grau, doch Prof. Dr. Johann-Dietrich Wörner blickte in ganz andere Sphären: Bei den nunmehr 103. Wirtschaftsgesprächen am Main „beamte" der ESA-Generaldirektor die Gäste aus dem 21. Stock des Frankfurter Hotels InterContinental in den „United Space in Europe". Zwischen Mond- und Marsmissionen, Rosetta-Sonde und Weltraumschrott ging es ihm vor allem um das, was die Raumfahrt bei der Lösung der ganz irdischen Zukunftsfragen beitragen kann. Das Credo der Organisation: „ESA steht ausdrücklich für Kooperation." Umso wichtiger in einer Zeit, in der der europäische Spirit bröckelt und sich auf globaler Ebene neue Fronten bilden.

Aufgewachsen im nordhessischen Hofgeismar, geht Prof. Wörner noch gerade so als „Kind der Region" durch, wie Prof. Dr. Mathias Müller, scheidender Frankfurter IHK-Präsident und Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Wirtschaftsinitiative, in seiner Begrüßung anmerkte. Einen Großteil seines Berufslebens verbrachte der Bauingenieur dann jedoch mitten in FrankfurtRheinMain – 17 Jahre lehrte er als Professor an der TU Darmstadt, zwölf Jahre war er sogar der Präsident der Hochschule, bevor er Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln wurde. Als Generaldirektor der European Space Agency verschlägt es ihn seit 2015 jetzt wieder regelmäßig in die Metropolregion. Schließlich unterhält die Raumfahrtorganisation mit Sitz in Paris just in Darmstadt ihr Kontrollzentrum ESOC und steuert von FrankfurtRheinMain aus fast alle wichtigen Missionen.

„Ich wäre gerne Astronaut geworden"

„Space 4.0" überschrieb Prof. Wörner seinen gleichermaßen spannenden wie lehrreichen Vortrag, dem die Gäste des Executive Luncheon gebannt lauschten. Der eine oder andere wird dabei womöglich an seinen Berufswunsch aus Kindertagen gedacht haben. „Ich wäre gerne Astronaut geworden", verriet Prof. Wörner. „Aber ich hätte nie gedacht,  dass ich meinem Traum thematisch einmal so nahekommen würde." Immerhin habe er die Schwerelosigkeit, wenn auch nur für Sekunden, bei mehreren Parabelflügen erlebt. „Space 4.0 steht für den Weg der Raumfahrt in die Zukunft", so der ESA-Chef. Mit Space 1.0 ließen sich die ersten wissenschaftlichen Schritte in der Astronomie zusammenfassen. Space 2.0 sei der Wettlauf im All, der das 20. Jahrhundert prägte – vom sowjetischen Kosmonauten-Hund Laika bis zur amerikanischen Mondlandung. Die aktuelle Phase bezeichnete er als Space 3.0. Gemeint ist damit alles, was sich auf der Raumstation ISS tut und was die Raumfahrt zu den globalen Herausforderungen unserer Zeit beizutragen hat. Und Space 4.0? „Das bedeutet eine gänzlich veränderte Welt – neue Rollen, Motivationen, Akteure, Technologien etc." Die Zukunft sieht er positiv. Insbesondere in einer Zeit, in der der europäische Spirit nachlasse und Nationalismen Fahrt aufnähmen, könne die Raumfahrt dagegenhalten. „Von oben hat Europa, hat die Welt keine Grenzen. Wir haben bei der ESA nur europäische Astronauten und schaffen einen United Space in Europe."

Top in der Erdbeobachtung

Wie die ESA organisiert ist, was sie konkret tut und wie sie sich im globalen Wettbewerb schlägt, beleuchtete Prof. Wörner natürlich auch. 22 Länder sind beteiligt, davon 20 EU-Mitglieder plus Norwegen und die Schweiz. Finanziert wird sie direkt von den Mitgliedsländern – sie ist keine EU-Organisation, erhält jedoch auch Zuschüsse von der EU. In der Finanzausstattung ist die ESA die Nummer zwei hinter der US-amerikanischen NASA und liegt noch vor China, wenngleich sie in der bemannten Raumfahrt klar zurückliegt. In vier Programmsäulen kümmert sie sich um „Science + Exploration", „Safety + Security", „Applications" und „Enabling + Support". Bezugsgruppen sind Industrie, Gesellschaft und zunehmend auch Konsumenten. „Von besonderer Bedeutung ist für uns das Spannungsfeld zwischen Grundlagen- und Anwendungsforschung. Nicht immer wissen wir ganz genau, wofür ein Forschungsvorhaben am Ende gut ist. Das ging aber auch schon Albert Einstein so. Auf der anderen Seite können wir viele Dinge aus der Raumfahrt direkt zur Problemlösung auf der Erde übertragen", argumentierte Prof. Wörner. Ein gutes Beispiel sei die Kamera der Kometensonde Rosetta – sie wird heute etwa zur Waldbrandüberwachung eingesetzt. „Ein herausragendes Erfolgsprojekt ist zudem die Satellitennavigation Galileo. In der Erdbeobachtung sind wir der weltweite Leader. Unser System ist dreimal besser als das amerikanische GPS." Ein weiteres wichtiges Thema: die Reduzierung des Weltraumschrotts, der Kollisionsgefahren für Satelliten birgt – rund 750.000 Teile mit einer Größe von mehr als einem Zentimeter sind rund um die Erde unterwegs. Die spektakulärsten ESA-Pläne betreffen jedoch den Erdtrabanten. Ein „Moon Village" oder „Lunar Gateway" soll in Zusammenarbeit mit der NASA entstehen. Auch privatwirtschaftliche Akteure wie Elon Musk und Jeff Bezos sind mit an Bord. „Kein Zufall. ESA steht ausdrücklich für Kooperation. Im All geht es nur gemeinsam."

Fotos: Kirsten Bucher

„Wirtschaftsgespräche am Main" ist ein exklusives Veranstaltungs- und Kooperationsformat, das die Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain gemeinsam mit der Messe Frankfurt, dem Hotel InterContinental Frankfurt und der F.A.Z. ausrichtet.

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