Wirtschaftsgespräche am Main 14.07.2023

Wirtschaftsgespräche am Main mit Deutsche Telekom-CEO Timotheus Höttges

„Wir haben in diesen schwierigen Zeiten zusätzliche Verpflichtungen“

Wie geht es politisch und wirtschaftlich weiter in Deutschland und Europa? Bei den 111. Wirtschaftsgesprächen am Main zeigte Timotheus Höttges, dass er ein CEO ist, der gesellschaftliche Verantwortung übernehmen will. „Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, konstatierte der Chef der Deutschen Telekom und plädierte für mutiges und konkretes Machen statt Reden über das große Ganze. Eine sehr persönlich gehaltene „XL-Rede“, wie er sie selbst bezeichnete, hatte der ausgezeichnete Rhetoriker natürlich trotzdem im Gepäck. Ein echtes Highlight für die Mitglieder der Wirtschaftsinitiative!

Karl-Heinz Streibich hatte Timotheus „Tim“ Höttges nach FrankfurtRheinMain geholt. Der Beiratsvorsitzende der Wirtschaftsinitiative und vormalige CEO der Software AG ist auch Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Telekom und fädelte so den Kontakt zu dem vielbeschäftigten Konzernlenker ein. Nach René Obermann ist Höttges bereits der zweite Telekom-Chef, der als Speaker die Wirtschaftsgespräche am Main gestaltet hat.

Zwischen Metadebatten und Defätismus

„Liebe Kundinnen und Kunden“, begrüßte Höttges die über 100 Gäste im Hotel Steigenberger Icon Frankfurter Hof. Bei 290 Millionen weltweit und entsprechendem Marktanteil in Deutschland war es natürlich mehr als wahrscheinlich, zahlreiche Kundinnen und Kunden vor sich sitzen zu haben. „Ich werde mir heute das Herz von der Seele reden und Ihnen berichten, was mich gerade beschäftigt“, machte er seinen Vortrag auf. Selten habe er eine so angespannte Stimmung in der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft erlebt. „Wir reden derzeit viel über die großen Linien, über Metathemen wie Gendern, Inflation und Migration. Doch bringt uns das wirklich weiter? Jenseits davon wird es in Unternehmen sehr konkret, Details kommen aber in den Debatten nicht vor. Ich habe den Eindruck, dass die Metabeschäftigung oft dazu dient, den Status quo zu erhalten“, beschrieb er seine Sichtweise. Insgesamt sieht er aktuell vier archetypische Gruppen in der Gesellschaft. Neben jenen, die sich rege im Meta-Kontext einbringen, aber nichts ändern, gebe es noch die Unbeteiligten, denen alles egal sei, solange es die eigenen Vorteile nicht tangiere. Dann die „typisch deutschen“ Defätisten und Schwarzmaler. Und schließlich diejenigen, die Verantwortung übernehmen wollen. „Ich selbst wünsche mir, zur vierten Gruppe zu gehören. Unser Land braucht diese Gruppe. Eine paralysierte Gesellschaft wird nicht zu einem guten Ende kommen“, so Höttges.

Die Deutsche Telekom ist heute die wertvollste Marke Deutschlands und Europas, weltweit rangiert sie auf Platz elf. Die Marktkapitalisierung hat Höttges von 30 auf 100 Milliarden gesteigert. In den USA gehört die Tochter T-Mobile zu den drei Top-Playern im Mobilfunkmarkt. 21 Milliarden investiert der Konzern jedes Jahr, davon sechs Milliarden in Deutschland. Der Abstand zu den amerikanischen Big Techs ist nach wie vor groß, doch die Stimme von Höttges wird gehört. „Leadership bedeutet für mich, dass ich mich beteilige und dazu beitrage, Lösungen zu finden. Wir haben in diesen schwierigen Zeiten zusätzliche Verpflichtungen“, appellierte er an die teilnehmenden Vertreterinnen und Vertreter aus der Wirtschaft.

„Schauen wir nicht aus dem Fenster und auf die anderen, wenn etwas schlecht läuft, sondern in den Spiegel“

Die liberale Demokratie sei in vielen Ländern in Bedrängnis, autokratische Systeme befänden sich auf dem Vormarsch. Es stelle sich die drängende Frage: Wie geht es politisch und wirtschaftlich weiter? „Wenn wir technologisch zurückfallen, werden wir auch als Markt unbedeutender. Vielleicht muss der globale Westen seine Führerschaft erneuern. In jedem Fall muss Europa seine Stärken skalieren und sich auf die Chancen konzentrieren, die zum Beispiel die Künstliche Intelligenz bietet. Die EU schätzt, dass wir 600 Milliarden Euro für den Klimawandel ausgeben müssen. Der Markt allein wird es nicht richten. Wir brauchen eine europäische Industriepolitik – Stichwort Halbleiter, Quantencomputing, Cloud.“ Höttges ist überzeugt, dass der Schlüssel zur Beseitigung der allseits spürbaren Umsetzungshemmnisse in einer Strukturreform liegt, die stärker bündelt. Er stellte aber auch klar: „Ich mache hier kein Politik-Bashing. Politikerinnen und Politiker haben oft die richtigen Ideen, scheitern aber an der Umsetzung im bestehenden Apparat. Was man Ihnen jedoch vorhalten kann und muss: Sie schaffen es nicht, die Verwaltung so zu verändern, dass mehr und schnellere Umsetzung möglich wird.“

Bevor es in eine offene Fragerunde ging, gab Tim Höttges den Wirtschaftskolleginnen und -kollegen aus FrankfurtRheinMain noch fünf optimistische Empfehlungen und Learnings mit auf den Weg: „Machen Sie die Scheuklappen auf und gehen Sie in der Umsetzung voran. Werden Sie in Ihrem Unternehmen zum Chief Ambiguity Officer, der die Mehrdeutigkeit unserer Zeit annimmt und managt. Schaffen Sie radikale Transparenz und legen Sie alle Probleme offen. Nutzen Sie die Krise als Chance und bewegen Sie sich aus Ihrer Komfortzone heraus. Und: Stay happy as a person!“

Den angestoßenen Dialog mit den Mitgliedern der Wirtschaftsinitiative setzte Tim Höttges im Anschluss an die Veranstaltung auf Social Media fort. Networking at its best!

Fotos: Kirsten Bucher

 

„Wirtschaftsgespräche am Main“ ist ein exklusives Veranstaltungs- und Kooperationsformat, das die Wirtschaftsinitiative FrankfurtRheinMain gemeinsam mit der F.A.Z. und dem Hotel Steigenberger Icon Frankfurter Hof ausrichtet. In der Regel finden zwei bis vier Ausgaben pro Jahr statt.

Das könnte Sie auch interessieren: